Bestandssenkung durch beschaffungszeitliche Visualisierung der Produktstruktur

Durchlaufzeit-Optimierung Bestandssenkung Produktstruktur

Ziel der Bevorratungsplanung ist es, möglichst spät die tatsächliche Disposition zu beginnen. Der Startpunkt einer Disposition beginnt im Idealfall immer erst nach einer Kundenbestellung. Denn liegt ein konkreter Kundenauftrag vor, ist das Absatzrisiko minimal und die Kapitalbildungskosten durch Bestände sind am geringsten.

Die Endmontage eines Produktes kann dadurch zeitlich kundenauftragsbezogen, über eine Pull-Steuerung erfolgen. Das vereinfacht die Produktionssteuerung und reduziert die sonst notwendigen Lagerbestände durch eine Mengenplanung.

Voraussetzung dafür ist, dass die interne gesamte Durchlaufzeit kleiner ist, als die vom Kunden erwartete Lieferzeit.

Kann dies nicht erfüllt werden, muss eine Bevorratungsplanung auf Basis von Planzahlen erfolgen. Das erzeugt ein höheres Risiko, da Zwischenprodukte – Baugruppen und Einzelteile – gelagert werden müssen.

Die Bevorratungsebene

Die Trennlinie zwischen der kundenauftragsbezogenen und erwartungsbezogenen Produktion oder Beschaffung wird als Bevorratungsebene bezeichnet [Zimmermann-1979].

Bevorratungsebene in einer Produktstruktur
Bevorratungsebene in einer Produktstruktur

Die Trennlinie ist nur in der Produktstruktur sichtbar. Oberhalb der Trennlinie kann ohne Bestände gearbeitet werden. Unterhalb ist durch die längere Beschaffungsdauer eine Bevorratung notwendig. Die Kenntnis der Bevorratungsebene ist deswegen essentiell für die Ausarbeitung einer Bevorratungsstrategie.

Wäre die Durchlaufzeit insgesamt kleiner als die vom Kunden erwartete Lieferzeit, könnte ein Unternehmen ganz auf Lageraufträge verzichten [Lödding-2016]. Damit könnte das Unternehmen praktisch ohne Zwischenbestände arbeiten.

In der Praxis wird es aber immer Produkte geben, bei den die Durchlaufzeit länger ist und eine Bevorratung der Komponenten in der Produktstruktur notwendig wird.

Aber auch aus anderen Gründen, wie fehlendes Material, Störungen, ungeplante Wartungen oder fehlende Mitarbeiter, können Bestände sinnvoll sein.

Durch sich verändernde Kundenerwartungen, in Bezug auf immer kürzere werdende Durchlaufzeiten, ist die Bevorratungsebene ein wichtiger Ausgangspunkt für Optimierungen der Bestände und der Durchlaufzeit.

Das generelle logistische Ziel „Durchlaufzeitreduzierung“ kann so auf Optimierungsprojekte an der genau richtigen Stelle, derjenigen mit dem größten Effekt, gelenkt werden.

Zum einen spart das, anstelle eines globalen Durchlaufzeiten-Reduzierungsprojektes, wesentliche Ressourcen. Zum anderen werden Umsetzungen sofort bestandswirksam und damit direkt kostenwirksam.

In vielen Fällen lässt sich dadurch zwar nicht die Gesamt-Durchlaufzeit reduzieren – das ist nur möglich, wenn die Optimierung im kritischen Produktionspfad erfolgt – aber es lassen sich Zwischenbestände senken.

Analyse-Tool

Für viele Baugruppen und Einzelteile lässt sich die Entscheidung Bevorratung ja oder nein sehr schnell treffen. Ist die Wiederbeschaffungs- oder Durchlaufzeit größer als die Kundenerwartung, ist davon auszugehen, dass anonym und erwartungsbezogen produziert und damit auch gelagert werden muss.

Komplizierter wird es bei kürzeren Durchlaufzeiten. In diesem Fall kann eine Aussage nur im Zusammenhang mit der Produktstruktur getroffen werden, indem die Verknüpfungen bis zum Endprodukt analysiert werden. Die Summe der Artikel, welche über die Produktstruktur miteinander verbunden sind, entscheidet über die Bevorratungsstrategie.

Dafür muss neben der Produktstruktur, die Beschaffungsdauer bei Kaufteilen und die Fertigungsdauer bei Fertigungsteilen bekannt sein.

Je nach zu untersuchenden Produkten erfordert das eine aufwändige Analyse.

Ermittlung der Bevorratungsebene über die Produktstruktur
Ermittlung der Bevorratungsebene über die Produktstruktur

Der Aufwand lässt sich aber teilweise reduzieren. Dafür möchte ich Ihnen hier ein Analyse-Tool zeigen. Das Tool basiert auf Microsoft Excel und hilft Ihnen Bevorratungsentscheidungen vorzubereiten. Es nimmt Ihnen die Arbeit habe, die komplexen Zusammenhänge in der Produktstruktur darzustellen.

Das geht aber nicht ohne Daten und hier beginnt Ihre Arbeit.

Stücklisten-Daten

Die Produktstruktur baut sich über die Stücklisten-Daten auf. Die Baumstruktur basiert auf einer Eltern-Kind-Beziehung zwischen Stücklisten- und Artikelnummer. Eine Menge der Artikelposition ist für die Berücksichtigung von Arbeitsplanzeiten notwendig. Die Positionsnummer steuert die Anzeigereihenfolge des Artikels in der Visualisierung. Diese Daten müssen Sie aus den Stücklisten ihres Produktes exportieren und in die Tabelle Stückliste des Excel-Tools einfügen.

Auszug aus dem Beispiel "Getriebe" für Stücklisten-Daten
Auszug aus dem Beispiel „Getriebe“ für Stücklisten-Daten

Artikel-Daten

In den Artikel-Daten liegen Informationen zum Artikel. Das sind neben einer Bezeichnung, die Artikelart (Kaufteil oder Fertigungsteil). Kaufteile benötigen eine Beschaffungszeit oder Wiederbeschaffungszeit. Die Zeitdauer, welche ausgehend von einer Bestellung vergeht, bis der Artikel verfügbar ist. Als weitere Information kann der Lieferant angegeben werden. Fertigungsteile erfordern eine durchschnittliche Losgröße. Über die Losgröße berechnet sich der Zeitanteil für die Rüstdauer.

Auszug aus dem Beispiel "Getriebe" für Artikel-Daten
Auszug aus dem Beispiel „Getriebe“ für Artikel-Daten

Arbeitsplan-Daten

Die Arbeitsplan-Daten spiegeln für Fertigungsteile die Produktionsschritte wider. Notwendig sind neben dem Arbeitsplatz-Code, die Rüstzeit und Bearbeitungszeit. Entscheidend sind auch geplante Wartezeiten vor oder nach einer Bearbeitung. Die Reihenfolge ergibt sich aus der Arbeitsfolgenummer.

Auszug aus dem Beispiel "Getriebe" für Arbeitsplan-Daten
Auszug aus dem Beispiel „Getriebe“ für Arbeitsplan-Daten

Arbeitsplatz-Daten

Um aus den Arbeitsplan-Daten Durchlaufzeiten zu ermitteln, benötigt ein Arbeitsplatz eine Tageskapazität. Über diese lässt sich je Arbeitsplatz die mögliche Auftragskapazität in Tagen berechnen. Die Arbeitsplatz-Daten Tabelle speichert diese Information.

Auszug aus dem Beispiel "Getriebe" für Arbeitsplatz-Daten
Auszug aus dem Beispiel „Getriebe“ für Arbeitsplatz-Daten

Start-Parameter

Der wichtigste Parameter fehlt bisher noch: die Lieferzeit-Erwartung des Kunden und das zu untersuchende Produkt.

Relevante Start-Parameter
Relevante Start-Parameter

Möchten Sie mehrere Produkte gleichzeitig untersuchen? Das ist auch möglich. Sie legen sich dazu eine zusätzliche Stückliste an, in der die zu untersuchenden Produkte als Artikel aufgeführt sind.

Geben Sie der Stückliste einen beliebigen Namen und tragen diesen unter Produkt-Artikelnummer ein.

Visualisierungsergebnis

Mit Klick auf den Button Visualisierung aktualisieren starten Sie die Berechnung der Produktstruktur-Darstellung. Sobald das abgeschlossen wurde, springt Excel auf die Tabelle Visualisierung.

In meinem Excel-Beispiel stellt sich die mehrstufige beschaffungszeitliche Visualisierung wie in der nachfolgenden Abbildung dar. Die Art der Visualisierung orientiert sich an Fristenplänen, welche auch ERP Systeme für die Berechnung im MRP verwenden [Lödding-2016-2].

  • Visualisierungsergebnis am Beispiel "Getriebe"
  • Visualisierungsergebnis am Beispiel "Getriebe"

Als Beispiel habe ich die von mir erweiterten Grunddaten aus dem Fabrikplanungsprojekt von Prof. Dr.-Ing. Prêt [Pret-2018] verwendet.

Analyseerkenntnisse

Artikel mit Optimierungspotenzial nahe der Kundenerwartung sind gelb dargestellt
Artikel mit Optimierungspotenzial nahe der Kundenerwartung sind gelb dargestellt

Welche Erkenntnisse lassen sich aus der generierten Produktstruktur gewinnen?

Auf den ersten Blick wird sofort die notwendige Beschaffungsebene sichtbar.

Artikel, die vollständige links der Kundenerwartungslinie mit 15 Tagen liegen könnten ohne Bestand auftragsbezogen geplant werden. Baugruppen oder Einzelteile, welche die Kundenerwartungslinie schneiden oder rechts davon liegen haben offensichtlich eine längere Durchlaufzeiten bzw. Wiederbeschaffungszeit. Für sie müssen Bestand vorgehalten werden, um die Kundenerwartung zu erfüllen.

In der Abbildung sind sie gelb markiert.

Für Durchlaufzeit-Optimierungen und damit für potenzielle Bestandssenkungen ist eine andere Kategorie viel interessanter. Das betrifft diejenigen Artikel, bei den das Potenzial vorhanden ist, sie auf die linke, die kundenauftragsbezogene, Seite zu verschieben.

Artikel mit Optimierungspotenzial nahe der Kundenerwartung sind gelb dargestellt
Artikel mit Optimierungspotenzial nahe der Kundenerwartung sind gelb dargestellt

Das lässt sich durch die Visualisierung sehr einfach herausfinden. In diesem Beispiel eignen sich 9 Artikel für eine Durchlaufzeit-Optimierung. Je nach Überschreitung kann auch eine Reihenfolge priorisiert werden.

Soll die Anzahl potenzieller Optimierungsprojekte weiter eingeschränkt werden, kann der Fokus auf den Wertschöpfungsgrad gerichtet werden und Artikel in höheren Wertschöpfungsebenen bevorzugt werden. Im Beispiel sind das die Fertigungsartikel (grün).

Der integrierte Arbeitsplan zeigt direkt an, an welchen Stellen Optimierungspotenzial besteht. Im Beispiel könnte durch eine Durchlaufzeit-Optimierung bei der Bearbeitung des Rundmaterials um 2 Tage, der Artikel kundenbedarfsbezogen gefertigt werden. Bisher notwendige Bestände könnten entfallen.

Optimierungspotenzial bei der Rundmaterial-Fertigung
Optimierungspotenzial bei der Rundmaterial-Fertigung

Ein Gespräch mit dem Lieferanten Fa. Huber könnte genügen, um gemeinsam die Wiederbeschaffungszeit des Kugellagers um 4 Tage zu reduzieren. Falls es möglich ist, könnte beide Unternehmen von den reduzierten Lagerbeständen profitieren.

Optimierungspotenzial Kaufteil "Kugellager"
Optimierungspotenzial Kaufteil „Kugellager“

Excel-Tool

Jetzt sind Sie dran. Das Excel-Tool lässt sich beliebig nach Ihren Wünschen anpassen und erweitern. Also downloaden und ausprobieren.

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Literatur

[Lödding-2016] Lödding: Verfahren der Fertigungssteuerung, 2016, S. 116

[Lödding-2016-2] Lödding: Verfahren der Fertigungssteuerung, 2016, S. 171

[Pret-2018] Prof. Dr.-Ing. Prêt, 2018, Fabrikplanung: Teilefertigungs- und Montageprojekt „Schneckengetriebeproduktion“, http://www.uwe-pret.de/getriebe.pdf

[Zimmermann-1979] Zimmermann, Grundkonzeption einer integrierten, dialogisierten Produktionsplanung und -steuerung, Auftragsabwicklung und Beschaffung, 1979, S. 83

Links

Excel-Makros und das Internet

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