Durch stetige kontinuierliche Verbesserung (KVP) von Fertigungsabläufen kommen viele Firmen an den Punkt, nur noch Detailoptimierungen zu erzielen. Sucht man nach größeren Potenzialen kommt bei vielen Unternehmen eine Mehrmaschinenbedienung in Frage.
Was ist eine Mehrmaschinenbedienung
Eine Definition kann durch die Beziehung der Arbeitsformen erfolgen. Dabei wird ein Portfolio zwischen Arbeitsstelle und Arbeitsplätzen erstellt. Die Mehrmaschinenbedienung bezeichnet hier die beiden Ausprägungen: Mehrstellen-Alleinarbeit und Mehrstellen-Gruppenarbeit.
Übliche Formen sind in der Praxis bei der Mehrstellen-Alleinarbeit, die Bedienung von 2 Maschinen durch 1 Mitarbeiter und bei der Mehrstellen-Gruppenarbeit beispielsweise 2 Mitarbeiter an 3 Maschinen.
Potenzial
Das Potenzial aus einer Mehrmaschinenbedienung wird hauptsächlich durch reduzieren der Wartezeit eines Mitarbeiters generiert. In der Folge erhöht sich die Personalauslastung, die Fertigungsgemeinkosten sinken. Das fließt in den Maschinenstundensatz ein, der dadurch geringer wird.
Funktioniert die Mehrmaschinenbedienung ist eine Einsparung um 20% möglich (je nach Höhe des Lohnkostenanteils im Maschinenstundensatz).
Voraussetzungen
Um dieses Potenzial zu heben, sind aber mehrere Voraussetzungen zu erfüllen.
A) Qualifikation und Integration
Die Mehrmaschinenbedienung ist echtes Multitasking. Einzelne oder mehrere automatische Prozesse laufen zeitlich überlagert ab. Das erfordert eine höhere Qualifikation der Mitarbeiter.
Im obigen Beispiel müssen die beiden Mitarbeiter nun alle 3 Maschinen technisch vollumfänglich beherrschen.
Und es kommt eine neue Komponente als Anforderung dazu: Kommunikation. Während in der alten Welt jeder Mitarbeiter für sich arbeitete, ist in der neuen Welt ein Team entstanden. Die beiden Mitarbeiter müssen sich in diesem Fall austauschen, abstimmen und gemeinsame Entscheidungen treffen.
Die betroffenen Mitarbeiter sind am besten von Anfang an im Projekt integriert. Durch falsches Verständnis und fehlende Kommunikation kann das Projekt leicht scheitern.
B) Prozesssicherheit
Der Bearbeitungsprozess eines Bauteils muss mit einer sehr hohen Stabilität – ohne Störungen – durchgeführt werden können. Ein NC-Programm muss z. B. so robust erstellt werden, dass Materialschwankungen innerhalb des Toleranzbereichs ohne Unterbrechungen erfolgen können oder Werkzeugwechsel über Schwesterwerkzeuge erfolgen.
C) Standards
Die Tätigkeits- und Bearbeitungsabläufe sind dem Mitarbeiter klar bekannt. Es sind Standards vorhanden. Beispielsweise stehen die zu bearbeitenden Bauteile in geeigneten Warenträgern nach Lean-Gesichtspunkten griffbereit. Transport- und Spannvorrichtungen sind auf das Teilespektrum abgestimmt.
In einer Mehrmaschinen-Umgebung treten durch die parallelen Prozesses immer wieder Zustände auf, in der sich Mitarbeiter entscheiden müssen, was jetzt als nächstes zu tun ist. Das hat immer Einfluss auf die Leistung des Gesamtsystems. Um nicht die gesamte Verantwortung auf den Mitarbeiter zu übertragen, sollten hier klare Regeln vereinbart werden und Verständnis aufgebracht werden, da unter Umständen immer eine ungünstige Entscheidung getroffen werden muss.
D) Zusätzliche hauptzeitparallele Tätigkeiten
Prozessbeobachtungen oder -messungen sollten möglichst nicht durchgeführt werden müssen. Sind die für den Prozess notwendig, müssen Sie auf ein Minimum reduziert und möglichst an einem Stück zu einem definierten Zeitpunkt erfolgen.
Beobachtungen oder Messungen reduzieren stark die Einsatzmöglichkeiten einer Mehrmaschinenbedienung, da sie zeitlich schwer geplant werden können (z. B. Meßaufgaben) und dadurch Mitarbeiter wieder vor schwierige Entscheidung gestellt werden:
Soll ich ein Teil an Maschine 1 einlegen oder besser das Teil an Maschine ausbringen?
Ablaufsimulation
Aber auch wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist jedoch immer noch nicht klar, ob sich Ihr Teilespektrum überhaupt für eine Mehrmaschinenbedienung eignet.
Mehr Sicherheit erreicht man über eine Berechnung der notwendigen Mitarbeiterkapazität. Dafür gibt es 2 Möglichkeiten.
Die genauere ist ein Praxistest. Sie führen eine Mehrmaschinenbedienung direkt in Ihrer Fertigung durch und protokollieren die Ergebnisse. Das kann sinnvoll sein, wenn Sie keine Layout- oder Arbeitsplatzänderung vornehmen müssen.
Die zweite Möglichkeit ist die Ablaufsimulation. Mit dieser simulieren Sie das geplante Teilespektrum virtuell. Dafür benötigen Sie Daten des aktuellen Zustands, der zu bearbeitenden Teile. Für eine erste Untersuchung eignen sich Zeitanteile wie Rüsten, Einlegen, Auslegen und falls vorhanden hauptzeitparallele Tätigkeiten neben der Bearbeitungszeit der Maschine.
In jeder Zeile der obigen Abbildung stehen die Zeitanteile für ein Produkt, Bauteil oder Artikel. Eine Zeitberechnung kann aber nicht allgemein erfolgen. Sie ist immer abhängig von der Produktionsreihenfolge der Bauteile.
Betrachtet man den einfacheren Fall der Mehrstellen-Alleinarbeit (1 Mitarbeiter 2 Maschinen) sind IST-Zustandsdaten und die Produktionsreihenfolge für beide Maschinen erforderlich.
Dann kommt der mühsame Teil der Ablaufsimulation: Sie tragen die einzelnen Zeitanteile in ein Zeitdiagramm ein. Verwenden Sie dazu den Ablauf in obigen Diagramm als Regel.
Sie führen sozusagen virtuell den Ablauf durch, den auch der Mitarbeiter an der Maschine ausführen würde.
Mit der Analyse Ihres Zeitdiagramms können Sie nun recht einfach erkennen, ob sich Ihr Teilespektrum für eine Mehrmaschinenbedienung eignet.
Leider ist die Erstellung des Zeitdiagramms sehr aufwändig. Und da die Reihenfolge einen entscheidenden Einfluss haben kann, simulieren Sie am besten mehrere „Produktionstage“ und auch ungünstige Produktkombinationen und Produktionsreihenfolgen. Dann auch das wird Sie in der Praxis erwarten.
Aber dieser Aufwand ist immer noch besser, als hier eine falsche Entscheidung für oder gegen einen Einsatz einer Mehrmaschinenbedienung zu treffen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erfolg beim Optimieren!
Wenn Sie sich für das Thema Ablaufsimulation interessieren und Zeitdiagramme IT-unterstützt erstellen möchten, empfehle ich Ihnen den Artikel Automatische Ablaufvisualisierung mit Zeitdiagrammen.
Quellen
Joseph Mathieu: Eigenarten der industriellen Mehrstellenarbeit, Springer Verlag
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